Meine Erfahrungen - Teil02


Eine jemenitische Mutter kümmert sich um ihr
unterernährtes Kind

externer Link DLF v. 27.01.2018

"Eine jemenitische Mutter kümmert sich um ihr
unterernährtes Kind, das am 2. Mai 2017 in einem Krankenhaus in der jemenitischen Hafenstadt Hodeidah behandelt wird. (AFP /STR)"

    Gut ausgeschlafen, ein leckeres Frühstück, ein gemütlicher Sonntag, der 28. Januar 2018. Dann mein regelmäßiger Gang zum PC, Deutschlandfunk, was gibt es Neues auf der Welt... Doch ganz schnell schlägt meine Stimmung um.
    Da springt mich das Bild mit dem fast verhungerten Mädchen und seiner Mutter an! Im Text zum Bild lese ich: "Eine jemenitische Mutter kümmert sich um ihr unterernährtes Kind, das am 2. Mai 2017 in einem Krankenhaus in der jemenitischen Hafenstadt Hodeidah behandelt wird. (AFP /STR)". Ich bin zutiefst getroffen und spüre eine sich ausbreitende Ohnmacht, es stellt sich eine richtige Fassungslosigkeit ein. Ich möchte flüchten und kann nicht. Ich kann das Bild doch nicht weg klicken; jetzt hänge ich drin; es gibt kein Zurück!
    Da merke ich, ich will auch überhaupt nicht weg. Ich will den beiden ganz nah sein, einen Hocker nehmen und mich zu ihnen setzen, mir die Geschichte der Mutter anhören und ihr immer wieder sagen, daß sie beide jetzt in Sicherheit sind.
    Und so sitze ich vor dem Bildschirm und schicke der Mutter und ihrer Tochter Sicherheit, Geborgenheit, Frieden und ganz viel Kraft und Zuversicht für die Zukunft. In meinen Gedanken entstehen immer neue Wünsche, welche ich losschicken könnte. Auf überraschende Weise stecken mich die guten Wünsche selber an. Ich spüre selber Zuversicht und Hoffnung, daß den beiden sicher geholfen wurde. Dabei entsteht eine richtig vertraute Nähe zur Mutter, zu ihrer Tochter, zu dem ganzen schrecklichen Schicksal und ich muß auf einmal nicht mehr flüchten. Das Bild springt mich nicht mehr an. Es lädt mich ein, an diesem Schicksal Anteil zu nehmen, es mit ganz viel Mitgefühl zu betrachten.
    Noch den ganzen Sonntag trage ich das Bild ganz wohlwollend mit mir mit. Es ist jetzt in mir, nicht mehr auf den Seiten des Deutschlandfunks. Es ist dann wohl kein Wunder, als ich am Nachmittag beim Aufräumen ein Anschreiben der Welthungerhilfe samt Zahlkarte in Händen halte: "Alle 13 Sekunden verhungert ein Kind auf dieser Erde!" Den Satz brauche ich nicht mehr; ich habe mein Bild um mich an die Arbeit zu machen...


Der Leichnam von Alan Kurdi wurde an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt

externer Link Wikipedia Alan Kurdi v. 30.12.2022

Alan Kurdi (* 2012; + 2. Sept. 2015 nahe Bodrum) war ein syrischer Junge kurdischer Abstammung, dessen Leichnam nach Ertrinken an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde; er starb im Alter von zwei Jahren.

"Gäbe es nur dieses Bild, dieses entsetzliche Bild von einem kleinen Jungen in kleinen Schuhen, mit blauer kurzer Hose und rotem T-Shirt, wie er bäuchlings im Sand liegt, die Haare feucht am Kopf, die Arme wie im Schlaf ruhig neben dem Körper, die Handflächen nach oben, das Gesicht umspült von einer milden ägäischen Brandung, gäbe es also nur dieses Bild, könnte man darüber nicht schreiben. Nur schweigen und, sofern man ein Mensch ist, weinen. Es gibt aber nicht nur dieses Bild. Das Bild hat eine Geschichte. Und es hat eine Botschaft. Denn das Kind hat einen Namen. Und sein Tod einen Grund."  ZEIT-ONLINE "Mit Wucht durch den Wahrnehmungspanzer" - Ein Kommentar von Arno Frank, 3. September 2015
    Betrachte ich das Bild, dann kann ich mich dem Kommentar von Arno Frank nur anschließen. Beim Anblick der kleinen Schuhe kann ich meine Tränen nicht stoppen. Er wollte doch mit diesen Schuhen die neue Welt erkunden, in die seine Familie aufgebrochen war. Die Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden, nach allem Krieg in der Heimat, hat sich sicher beim Vater in endlose Vorwürfe verwandelt.
Was braucht die Familie jetzt? Einen Abschied von ihrem Sohn Alan: "Wir wünschen Dir jetzt, daß Du sicher, geborgen und behütet bist; wir wünschen Dir jetzt, daß Du an einem Ort des Friedens bist; alle unsere guten Wünsche sollen Dich begleiten, wo immer sie Dich erreichen". Auch die Familie braucht jetzt nach all dem Schrecken einen sicheren Ort um Geborgenheit zu erfahren, sie brauchen ganz viel Kraft, Zuversicht und wohlwollende Menschen, um Frieden mit sich und der Welt zu finden. Und der Vater, der untröstlich über den Tod seines Sohnes ist, braucht Menschen, die ihm die Hand auf die Schulter legen und ihm sagen: Du hast alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht; du und deine Familie habt euch aus purer Überlebensnot für die Flucht entschlossen; du hast die Flucht nicht besser vorbereiten können, Du trägst keine Schuld an diesem Unglück - es ist ein total tragisches Unglück!
    Wenn ich diese Gedanken gerade zu Papier bringe, bemerke ich eine wohltuende Nähe zum kleinen Alan, auch zu seinen Eltern. Wäre ich der Polizist auf den Bildern gewesen, ich hätte Alan fest an mich gedrückt, wie wenn ich ihn wärmen wollte und ich hätte mir gewünscht, ihn ganz behutsam in die Arme seiner Eltern zu legen und sie nicht alleine zu lassen.


Noch immer brennen die Wälder im Südosten Australiens

externer Link DLF v. 27.01.2020

"Noch immer brennen die Wälder im Südosten Australiens. Dort, wo die Feuerwalzen ganze Landstriche verwüstet haben, suchen Ökologen nun nach überlebenden Tieren und Pflanzen. Ihre erste Bilanz ist ernüchternd: Zahlreiche Arten könnten ausgestorben und die Ökosysteme vielerorts dauerhaft geschädigt sein."

    Die große Frage in meinem Freundeskreis war: Wie geht man mit diesen verheerenden Waldbränden (2019/2020) in Australien um, mit den verstörenden Berichten und Bildern, mit den gigantischen Zahlen verbrannter Tiere. Das Bild mit dem verkohlten Känguru, das aufrecht mit ausbreiteten Armen in einem Zaun hängt, hat sich mir besonders eingebrannt. Schaut man noch weitere Bilder an, die das Grauen ins Wohnzimmer tragen, dann kommt der Punkt, wo man ausschalten muß.
    Doch die furchtbaren Eindrücke haben sich festgesetzt. Wie wird man das alles wieder los? Am einfachsten sucht man einen Schuldigen oder gleich mehrere. Dann kann man losschimpfen und schon geht es einem ein wenig besser. Doch langfristig schadet der Ärger dem Körper; er erzeugt Streß und schädigt Herz und Kreislauf. Und was ändert das an der ganzen Tragödie?
    Wäre es da nicht klüger, an die vielen verletzten Tiere zu denken und dann vor allem an die große Zahl der Helfer, die das Feuer bekämpfen, die Menschen und Tiere retten und den Koalas ihre verbrannten Pfoten verbinden. Und wie ich so an all die vielen Menschen denke, ihnen gute Wünsche schicke wie Kraft, Ausdauer, Geduld, Hoffnung und Zuversicht, da schlägt meine Stimmung um. Aus der Wut und der Verzweiflung erwächst eine Anteilnahme, eine Verbundenheit, eine Nähe zu all ihrem Schmerz, die in mir eine richtige Energie frei setzt. Und wäre Australien für mich im Augenblick nicht unerreichbar, ich müßte losfahren und mich irgendwie mit einbringen...


Bild "Ich begrüße Sie:palliativ.png"
Es ist ein kalter Freitagnachmittag im Februar. Dunkle schwarze Schneewolken stehen am Himmel, die immer wieder den blauen Himmel für die schon tief stehende Sonne frei geben. Ich sitze am Bett von Alice. Seit vielen Monaten kämpft sie um ihr Leben. Wie hat sie sich mit ihrem Partner auf das vergangene Weihnachtsfest gefreut, als sie in gutem Zustand nach Hause durfte. Und sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, noch ihren 35. Geburtstag mit Partner und Familie zu feiern. Doch sie wußte, daß nicht mehr viel Zeit bleibt.
Nun ist sie wieder vor ein paar Tagen auf die Palliativstation gekommen. Seit gestern ist sie nicht mehr bei Bewußtsein. Ich sitze am Bett und spreche, wenn ich alleine bin, meine vier Wünsche: Ich wünsche Dir, daß Du sicher und geborgen bist... Mit der Zeit spüre ich eine sehr vertrauliche Stimmung. Das ruhige Sprechen, die Wünsche und ihr gleichmäßiges Atmen hüllen das Ganze auf eine so wohlwollende und wohltuende Art und Weise ein. Die Vorhänge sind bis auf einen Spalt zugezogen, in der Ecke spendet eine Salzlampe ihren ruhigen Schein.
Da wird plötzlich der ganze Raum von hellem Sonnelicht geflutet. Die schwarzen Wolken haben der Sonne Platz gemacht, damit sie durch den kleinen Spalt im Vorhang ihre letzten Abendstrahlen zu uns schicken kann. Alice erscheint in ihrem dürftigen OP-Hemd in schneeweißer, ja geisterhafter Gestalt, wie aus einer anderen Welt. Ich erschrecke, halte inne und dann spricht es aus mir wie von selbst:
Ich wünsche Dir eine neue Sonne, eine Sonne, die Dich für immer anstrahlt, eine Sonne, die Dich begleitet und Dir den Weg weist, eine Sonne, die Dich für immer einhüllt und wärmt!
Und schon schiebt sich die nächste Wolke vor die Sonne und es ist Nacht geworden. Als ich mich dann später verabschiede, spüre ich beim Gehen eine totale Leichtigkeit, ein richtiges Getragenwerden, eine tiefe innere Zufriedenheit...


Bild "Ich begrüße Sie:begegnung.png"
Die Metta bietet die Möglichkeit, nicht nur beim ICH zu bleiben. Setze ich ein DU anstatt des ICH ein, dann fühlen sich die Wünsche oder Sätze völlig anders an. Steht mir der Mensch, den ich mit DU anpreche sehr nahe, dann kommen mir die Wünsche leicht über die Lippen. Nach einigen "Runden" entsteht dann oft ein ganz besonders Nähegefühl. Wäre der Andere jetzt gegenwärtig, ich könnte ihn dann voll in meine Arme nehmen.
    Doch so wohlwollend entwickelt sich die Metta nicht immer. Sehr schnell zeigen sich auch ganz feine Unstimmigkeiten, kleine Mißverständnisse oder irgendwelche Mißklänge in der Beziehung.
    Während ich dann meine Wünsche spreche, habe ich die Möglichkeit, den vergangenen Begegnungen nachzuspüren. Oft will sich dann das Wohlwollen der Wünsche nicht so richtig einstellen. Ich kann mich dann fragen, was fehlt zum Wohlwollen, was verhindert mehr Nähe und dann vor allem: Was möchte ich mit der Person klären!
    Wenn ich dann wieder in einer wohlwollenden Art meine Sätze weiter spreche, immer wieder auch in der ICH-Form, dann scheinen Lösungen auf, die ich durch nachdenken nur sehr schwer oder garnicht finden würde. So nach 10-15 Minuten ist mir dann meistens richtig klar bewußt, in welche Richtung ich gehen muß oder wie ich auf den Anderen zugehen möchte.
    Wenn sich allerdings beim Sprechen der Wünsche für den Anderen eine regelrechte Spannung aufbaut, dann ist es besser abzubrechen. Denn dann klappen die Wünsche an mich selber auch nicht mehr. Dann steht hoffentlich eine konstruktive Beziehungsklärung bei einer Tasse Kaffee an...